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Die Marionette

© witchtree
Es war einmal ein Puppenspieler, der zog mit seiner Truppe überall in der Welt umher. Seine Kunst war es Marionetten vorzuführen, Puppen die man an Fäden bewegt. So wie er die Fäden zog, tanzten die Puppen. In einer großen Kiste waren all die verschiedenen Puppen aufbewahrt, große und kleine, bunte und auch ganz schlichte und einfache Puppen.
Immer wenn dieser Puppenspieler eine neue Marionette hinzu bekam, spielte er fast ausschließlich nur mit dieser und die anderen armen Marionetten mussten dann in der Kiste liegen bleiben.
Untereinander unterhielten sich die Puppen in der Marionettensprache, die ein menschliches Ohr nicht vernehmen konnte. “Heute hat er wieder nur mit der neuen Puppe gespielt.“, begann die eine Puppe ein Gespräch. „Sie ist ja auch neu und interessant für ihn.“, antwortete die andere, wir sind ja schon alt und Gewohnheit für ihn. „Du hast Recht“, mischte sich die dritte Puppe ein, „wir sind ihm ja sicher, hier in unserer Kiste.“ Sie entwirrte traurig ihre Fäden, „Wann er gerade Lust hat, holt er uns heraus, und dann müssen wir uns bewegen, so wie es ihm gerade gefällt.“
Eine schlichte und einfache Puppe, die ganz hinten in der Ecke lag, mischte sich in das Gespräch ein: „Was wisst ihr denn schon? Ich war einmal vor langer Zeit seine Lieblingspuppe. Jeden Tag hat er mit mir gespielt, und mir hat er erzählt wie schön ich mich doch bewegen kann.“ Sie setzte sich auf und versuchte ihr verknittertes Kleid glatt zu streichen. „Nur eins habe ich aus der ganzen Zeit gelernt“, sprach sie weiter, „mit mir hat er so lange gespielt, bis ich die Menschensprache lernen konnte. Ich könnte ihm mal die Meinung sagen, wenn ich mich nur trauen würde.“ Verlegen schaute sie zur Seite: „Wenn ich ihm sage, was ich von ihm halte, wird er mich nie mehr aus der Kiste herauslassen, davor habe ich Angst.“
Die anderen Puppen schauten erstaunt auf die schlichte einfache Puppe. „Du kannst in der Menschensprache reden?“, riefen sie erstaunt, „Wovor hast du dann solche Angst? Sag ihm doch einfach mal, was du von seinem Verhalten denkst, was soll schon geschehen?“
Die einfache Puppe schaut beschämt nach unten: „Ich hatte ihn sehr lieb gewonnen, und immer noch habe ich die Hoffnung, dass ich eines Tages wieder seine Lieblingspuppe werde, dass es ihm wieder einfällt, wie schön ich mich bewegen lasse.“ Eine der schönen bunten Puppen schüttelte den Kopf und sagte: “Wenn er dich braucht, dann wird er dich wieder aus der Kiste holen, und nur dann, glaube es mir.“ Sie drehte traurig ihren linken Arm hin und her. „Mit mir hat er das auch so gemacht, glaube mir, mit jeder Puppe macht er das Gleiche, immer und immer wieder. Er hat einfach kein Herz, er tut immer nur das, was für ihn am Besten ist.“ Schweigen herrschte wieder in der Puppenkiste, trauriges Schweigen.

Nun geschah es eines Tages, dass in einer Stadt ein Puppenspiel aufgeführt werden sollte, ein besonderes Puppenspiel, das eine besondere Tanzfertigkeit erforderte. Der Puppenspieler erinnerte sich wieder an seine Lieblingspuppe, die so wunderschön tanzen konnte und sich so brav an ihren Fäden bewegte.
Die Puppenbühne wurde aufgebaut, und der Puppenspieler öffnete die Puppenkiste, um nach der einfachen schlichten Puppe zu suchen. Endlich erblickte er sie in einer Ecke versteckt und er griff nach ihr.
„Na mein süßes Püppchen, da bist du ja endlich. Wie sehr habe ich dich vermisst. Heute wollen wir beide es der versammelten Menge mal so richtig zeigen. Es gibt doch keine Puppe außer dir, die sich so wunderschön bewegen kann.“, schmeichelte er.
Das Puppenspiel begann und der Puppenspieler begann an den Fäden der Puppe zu ziehen. Doch was war das? Wenn er am Faden für das linke Bein zog, bewegte sie das rechte. Auch mit den Fäden für die Arme geschah das Gleiche. Die Leute begannen zu lachen, und dem Puppenspieler stand der Schweiß auf seiner Stirn. „Was machst du denn mein Püppchen?“, zischte er zwischen den Zähnen hervor, damit ihn niemand hörte, „Hast du verlernt wie man tanzt? Immer warst du die Beste bei diesem Tanz, und deine Bewegungen waren so vollkommen.“
Er zerrte und zog verzweifelt an den Fäden, aber die Puppe wollte ihm nicht mehr gehorchen. Die Leute drehten sich lachend um und gingen fort. Man hörte sie lachend sagen: „Für so ein Kasperletheater müssen wir ja hier nicht stehen bleiben.“
Wütend schüttelte der Puppenspieler die Puppe und schimpfte los: „Du undankbares Geschöpf. Da bist du meine Lieblingspuppe und machst mir so einen Ärger.“
Die Puppe drehte ihren Kopf zu ihm herum und lächelte, und zu seinem Entsetzen begann sie zu sprechen: “Deine Lieblingspuppe bin ich? Das ich nicht fürchterlich lache. Das bin ich doch nur dann, wenn du mich brauchst, wenn es dir gerade in den Kram passt. Du benutzt mich doch nur zu deinem Vorteil, wenn ein besonders schwieriger Tanz aufgeführt werden soll, wenn du dir besonderen Ruhm einhandeln willst, dann denkst du an mich. Sonst vergisst du mich in meiner Ecke und mit Sicherheit verschwendest du keinen Gedanken an mich, nicht einen.“
Der Puppenspieler wurde abwechselnd blass und rot. Er wusste überhaupt nicht mehr, was er machen sollte, so etwas war ihm ja in seiner ganzen Laufbahn noch nicht passiert. Fieberhaft dachte er nach, wie er seine beste Tänzerin besänftigen könnte.
Die Puppe aber sprach noch weiter: „Damit du Bescheid weißt, ich werde allen anderen Puppen auch die Menschensprache beibringen, denn mit ihnen gehst du ganz genauso um. Du kannst uns in Zukunft nicht mehr nur benutzen, wie es dir in den Kram passt. Du wirst darüber nachdenken müssen, ob man Puppen so behandelst, wie du das tust.“
Sie lächelte ihn freundlich an. „Jetzt kannst du mich in meine Kiste werfen, denn ich möchte keinen Moment mehr versäumen, mit dem Sprachunterricht zu beginnen.“
Der Puppenspieler öffnete vorsichtig die Kiste und legte die Puppe behutsam hinein. „Wenn Marionetten sprechen können, ist mein sorgloses Leben vorbei.“, dachte er, „Jetzt muss ich doch wahrhaftig darüber nachdenken, was ich machen soll.“
Es gefiel ihm nicht, aber er würde es tun müssen, nur noch Fäden ziehen. Das jede Puppe nach seiner Nase tanzt, die Zeiten waren vorbei für den Puppenspieler.

© witchtree

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